Was auf diesem Bild zu sehen ist, ist mir nicht mit letzter Sicherheit klar. Wahrscheinlich ein Fußgänger vor einer doppelgeschossigen Fassade auf einer Blechblende, die Einschußlöcher aufzuweisen scheint. Oder kriecht mitten im guatemaltekischen Hinterland ein S-Bahn-Waggon über die Dächer Richtung Himmel, der als Schriftstück ausgewiesen ist? Blitzhafte Alltagsverzerrungen begleiteten meinen Aufenthalt in bemerkenswerter Frequenz, nicht umsonst zählt Guatemala zu den Ursprungsgegenden des magischen Realismus.

Rush hour: Hochbetrieb am hellen Mittag zur letzten Stunde des täglich stattfindenden Obst- und Gemüsemarkts
Tuk Tuks übernehmen in Guatemala den Transport in Orten, die vom Netz der Hauptstraßen abgeschnitten nur über abenteuerliche Pisten zu erreichen sind. So auch in den Dörfern und Städtchen rund um den Atitlánsee. Dort sind sie an ihren Farben als bestimmten Gemeinden zugehörig erkennbar und sichtbar durchnummeriert. Die Fahrten verlaufen selbst bei hoher Belegung (als Rekord zählte ich inklusive meiner selbst drei Männer, drei Frauen, ein Kleinkind plus Fahrer) entspannt – einmal besuchte mich für eine knappe Sekunde ein Kolibri in der Kabine. Der Schlaglöcher umkurvende Chauffeur erzählte, die Vehikel stammten aus China.
„Jesus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben – niemand gelangt zum Vater, wenn nicht um seinetwillen“. Am Ortseingang sieht sich der Ankommende vor die Wegwahl gestellt. Nach rechts geht es in den Himmel, nach links Richtung Hölle. Tatsächlich wird der linke Abzweig von Müll und Gestank begleitet, kurz vor dem Treppenende wartete, dem Zerberus gleich, mit abwägenden Blicken ein Korpus aus streunenden Hunden.
Wandgemälde in San Pedro thematisieren überwiegend lokale Themen. Z.B. Entführung, Mord und das Verschwindenlassen von Menschen als Formen des Terrors, der die ansonsten vom Bürgerkrieg eher unberührte Kleinstadt zwischen 1980 und 1982 erschütterte. Hinter den Vorfällen steckten Militäreinheiten, die sich tagsüber als Beschützer San Pedros gerierten. Nachts verbreiteten sie selbstgefertigte Guerillaparolen (Graffiti und Flugblätter), um ihre Schwarzen Listen zu rechtfertigen, die stärker von privaten Rache- und Neidgelüsten als vom Kampf gegen die Guerilla geprägt gewesen sein sollen. Nach zwei Jahren Terror entfernten andere Militäreinheiten die Marodeure.
Dieses um eine Hausecke reichende Mural widmet sich dem heiligen Maisanbau (auf Tz’utujil und Spanisch) als kulturellem Erbe der Region und stellt die Frage nach dem Einsatz von Gentechnik. Die Tatsache bedenkend, daß die Maya-Landwirtschaft noch komplett von Hand betrieben wird, spricht ein dieser Tage weithin auf Plakatwänden beworbener Firmenname wie MayaFert (Düngemittel) Bände. Ein Dichterkollege berichtete mir von mittels Kunstdünger geschaffenen geschmacksarmen Riesenfrüchten. Ich hielt seine Beschreibungen für übertrieben, bis ich an einer Tankstelle Bauern beim Beladen eines LKWs beobachtete. Ihre Karotten erreichten, ohne Grün, die Maße meiner Unterschenkel – der Anblick faszinierte mich dermaßen, daß ich darüber das Fotografieren vergaß.